- Medizinnobelpreis 1933: Thomas Hunt Morgan
- Medizinnobelpreis 1933: Thomas Hunt MorganDer amerikanische Biologe Thomas Hunt Morgan erhielt den Nobelpreis für seine Entdeckungen bezüglich der Rolle der Chromosomen bei der Vererbung.Thomas Hunt Morgan, * Lexington (Kentucky) 25. 9. 1866, ✝ Pasadena (Kalifornien) 4. 12. 1945; 1890 Promotion an der Johns Hopkins University, Baltimore, 1891-1904 Assistenzprofessor für Biologie in Bryn Mawr (Pennsylvania), 1904-28 Professor für experimentelle Zoologie an der Columbia University, New York, 1928-45 Professor für Biologie am California Institute of Technology, Pasadena.Würdigung der preisgekrönten LeistungJeder kennt die kleinen Fliegen, die sich auf Komposthaufen und in Biotonnen tummeln und von altem Obst ernähren — Fruchtfliegen, wissenschaftlich Drosophilae genannt. Zu Anfang dieses Jahrhunderts spielten diese winzigen Insekten eine entscheidende Rolle für die Genetik: Mit ihrer Hilfe entdeckte Thomas Hunt Morgan die Chromosomentheorie der Vererbung.Die Anfänge der VererbungslehreJahrhunderte lang basierte das Wissen um das System der Vererbung in der Tier- und Pflanzenwelt lediglich auf Spekulationen oder zufälligen Beobachtungen. Eine erste systematische und statistische Untersuchung der Vererbung unternahm der Augustinermönch Gregor (eigentlich Johann) Mendel. Ab 1856 züchtete und kreuzte er zehntausende Erbsenpflanzen, um zu beweisen, dass sich gewisse äußere Merkmale auf die Nachkommenschaft verteilen und dabei statistischen Gesetzen folgen. Mendel veröffentlichte seine Ergebnisse 1865 und 1866. Zwei Vererbungsgesetze glaubte er entdeckt zu haben: Kreuzt man Pflanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften (etwa großwüchsige mit kleinen Pflanzen), so verfügt jedes Individuum der Tochtergeneration über beide Erbinformationen. Diese Pflanzen der zweiten Generation werden also entweder alle mittelgroß oder, wenn eines der Merkmale dominant ist, alle groß oder alle klein. Kreuzt man diese Pflanzen wiederum untereinander, so wird in der dritten Generation die Erbinformation wieder neu verteilt: Ein Viertel der Tochterpflanzen wird nun ausschließlich Erbinformationen für Großwuchs, die Hälfte beide Informationen und das übrige Viertel nur die Erbinformation für Kleinwuchs erhalten.Die zweite Mendel'sche Regel macht eine Aussage über unterschiedliche Merkmale, etwa Farbe und Größe der Pflanzen: Mendel glaubte erkannt zu haben, dass zwei solche Merkmale stets frei miteinander kombiniert werden können. Allerdings begegneten Zeitgenossen seiner Arbeit mit Unverständnis. Über Jahrzehnte hinweg wurde sie fast vollkommen ignoriert.Doch die Genetik machte trotzdem Fortschritte: 1879 wurden die Chromosomen (griechisch; Farbkörper) — kleine, meist längliche Körperchen, die sich für die Betrachtung unter dem Mikroskop anfärben ließen im Zellkern — erstmals eingehend beschrieben. Heute ist bekannt, dass Chromosomen aus DNS (Desoxyribonukleinsäure) bestehen, die die Gene und damit sämtliche Erbinformationen speichert. Das war zum Ende des 19. Jahrhunderts keineswegs selbstverständlich: August Weismann vermutete 1886 erst, dass in den Keimzellen der Lebewesen die Erbinformation gespeichert sein könnte (Keimplasmentheorie).Thomas Hunt Morgan interessierte sich als junger Mann zunächst vor allem für den Darwinismus und damit die Embryologie: 1890 promovierte er an der Johns Hopkins University über die Embryonalentwicklung bei Seespinnen. 1891 begann er sich auch mit der Vererbung zu beschäftigen. Um 1900 wurden die Schriften Mendels neu ausgegraben. Der amerikanische Genetiker Walter Sutton und der Deutsche Zytologe Theodor Heinrich Boveri vermuteten daraufhin 1903/04, dass die Erbinformationen auf Chromosomen liegen.Morgan wechselte 1904 als Professor für experimentelle Zoologie an die Columbia University in New York. Dort setzte er sich eingehend mit Mendels Lehre und den verschiedenen Chromosomentheorien auseinander. Er hielt es für unwahrscheinlich, dass ein einziges Chromosom das Aussehen und den Aufbau eines gesamten Lebewesens bestimmen sollte.Eine Fliege als Schlüssel zum Erfolg1908 begann er mit Experimenten an der Tau- oder Essigfliege Drosophila melanogaster. Das Insekt pflanzt sich schnell fort: Etwa alle zwölf Tage entsteht eine neue Generation; ein Weibchen legt etwa 1000 Eier. Dadurch erhielt Morgan in kurzer Zeit eine große Zahl stabiler Varianten. 1910 entdeckte er Mutanten unter den Fliegen, deren Augen weiß waren. Kreuzte er sie mit normalen (rotäugigen) Fliegen, so hatte die Nachkommenschaft durchweg rote Augen. Wurde diese Tochtergeneration jedoch untereinander gekreuzt, so entstanden wieder einige weißäugige Fliegen — die merkwürdigerweise stets männlichen Geschlechts waren. Morgan ging deshalb davon aus, dass die einzelnen Merkmale jeweils in Genen gespeichert sind, die linear auf den Chromosomen abgelegt sind. Die Informationen für Augenfarbe und die Informationen für das Geschlecht mussten auf demselben Chromosom liegen.Bisweilen aber kam es vor, dass zwei Merkmale zwar oft in Verbindung miteinander auftraten, keineswegs aber immer. Das liegt an der Tatsache, dass Chromosomen in Paaren auftreten. Wenn die beiden DNS-Stränge an derselben Stelle auseinander brechen, können sich die Bruchstücke auch über Kreuz wieder zusammenfügen. So ist es möglich, dass zwei Gene, die relativ weit entfernt auf demselben Chromosom liegen, manchmal auseinander gerissen werden. Morgan gelang es, den Abstand zweier Gene zu messen. Außerdem modifizierte er die zweite Mendel'sche Regel: Merkmale sind nur dann frei kombinierbar, wenn sie nicht nahe beieinander auf demselben Chromosom liegen.Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Alfred Henry Sturtevant, Calvin Blackman Bridges und Hermann Joseph Muller (Nobelpreis 1946) entwickelte Morgan in den Folgejahren eine Genkarte der insgesamt nur vier Chromosomen von Drosophila melanogaster. Dabei kombinierten die Forscher die statistische Methode Mendels mit mikroskopischen Untersuchungen.1915 veröffentlichten sie ihre Ergebnisse in »Die Mechanismen der Mendel'schen Vererbung«. Eine Karte der Chromosomen, auf der die Gene wie Perlen auf einer Halskette aufgereiht sind, wurde mit einiger Skepsis in der Wissenschaftswelt aufgenommen. Dennoch erwiesen sich Morgans Ergebnisse als richtig; die Ehrung mit dem Nobelpreis für Medizin war daher beinahe eine logische Folge.Mendels, Weismanns und Morgans Arbeiten stellten den Anfang einer Entwicklung dar, die über die Erforschung der Rolle der DNS als genetischer Speicher (Avery 1944), die Entdeckung der Grobstruktur der DNS (Watson und Crick 1953, Nobelpreis 1963) und des DNS-Codes (Nirenberg 1961, Nobelpreis 1968) führte. Die vollständige Sequenzierung des menschlichen genetischen Codes, die im Jahr 2000 abgeschlossen wurde, wäre ohne diese Vorarbeiten nicht möglich gewesen. Noch aber gibt es viel Forschungsbedarf: Die genaue Funktionsweise der meisten Gene ist immer noch unbekannt — und von schätzungsweise einem Drittel der etwa 250 000 Pflanzenarten auf der Erde ist nicht einmal die genaue Zahl der Chromosomen bekannt.A. Loos
Universal-Lexikon. 2012.